Absicherung
Betrachtet man die Definition des Wortes Absicherung, so verweist sie zumeist als Erstes auf das Wort „Eigensicherung“. Diese beschreibt einen aktiven Schutz für das leibeigene Wohl. So können z.Bsp. in Form von Schutzkleidung Gefahren vom Körper abgewandt werden. Dieser Eigenschutz ist ein Handlungsprinzip, das in den meisten Fällen bereits als Vorkehrung stattfindet, um in Notfallsituationen das Risiko zu minimieren. Das Absichern, von dem ich spreche, nimmt jedoch Bezug auf das sich im Nachhinein vollziehende „sich versichern“ wollen. Das Wort „Versicherung“ wirft dabei aber eine falsche Assoziation auf. „Sich gegen etwas absichern“ kommt meiner Definition näher: durch gezielte Maßnahmen verhindern, dass etwas Unerwünschtes eintritt. Ich versuche mich durch den Schritt der Absicherung innerhalb meiner Methodik zu versichern, dass die Grundvoraussetzungen bzw. die nötige Begabung gegeben sind, um das Scheitern überhaupt als ein solches wahrzunehmen. Sich als gescheitert zu empfinden, ist ein Gefühl, das voraussetzt, das man eigentlich von sich selbst Erfolg erwartet hätte.
Das Anfertigen einer ästhetischen Zeichnung ist also meine Maßnahme, um zu verhindern, dass etwas Unerwünschtes, nämlich die Schlussfolgerung, dass ich an fehlendem Talent scheitere, eintritt. Würde es mir an Begabung oder zeichnerischem Talent fehlen, wäre die Aufgabe ein Illustrationsbuch zu gestalten eine unrealistische – das Scheitern daran also nicht existent. In diesem Sinne ist es eigentlich ein irritierend positiv konnotiertes Wort, das ich für den letzten Schritt meines täglichen Zyklus verwende. Spüre ich eine Erleichterung darin, mir zu bestätigen, dass ich Zeichnen kann, das Scheitern am Illustrationsbuch also tatsächlich ein reelles Scheitern darstellt? Oder ist es der Gedanke, der mich erleichtert, dass ich scheinbar aus einem unbewussten „höheren“ Grund scheitere, der sicherlich ebenso wichtige Bedeutung hat, aber bezogen auf meine Abschlussarbeit nicht mein Erlerntes in Frage stellt? Ich also gewissermaßen für meinen Abschluss beweisen möchte, dass ich nicht an den Fähigkeiten der Visuellen Kommunikation scheitere?
Unabhängig von der möglichen Aussage über den Grund des Scheiterns, interpretiere ich den letzten Schritt meine Zyklus als eine Art Belohnung an mich selbst. Schon beim Lesen der Aufgabe in der Methodik empfinde ich eine Erleichterung in der Formulierung: die Ansprüche „rein ästhetisch“ und „inhaltlich unbedeutend“ geben der Zeichnung das Recht der Existenz aus der reinen Schönheit heraus. Blicke ich auf mein Studium zurück, so hatte Kritik an meiner Arbeit oft genau dies zum Thema: mein Ansatz sei zu ästhetisch, nicht politisch oder sozialkritisch genug. Mit dem letzten täglichen Schritt, habe ich mir also unterbewusst eine Aufgabe gestellt, die ich durch Fleiß und ohne größeren Frust erfüllen kann. Darin ist einerseits mein Widerstand gegen die Kritik an der reinen Ästhetik merkbar, andererseits macht sich mein allgemeiner Antrieb spürbar: gegen die „Alles-Optimierung“, für Akzeptanz des Nichtkönnens, für die Annahme einer Aufgabe. Denn auch wenn ich mich mit der „Absicherungs-Zeichnung“ anscheinend belohne, beweist sie mir am Ende des Tages, nach meiner Theorie, mein Scheitern.
Interessant ist dem ungeachtet, dass die beabsichtigt rein ästhetischen und inhaltlich bedeutungslosen Zeichnungen, doch in ihrer Bedeutung relevant wurden. Nicht nur durch den im Nachhinein reflektierten Einbezug ihrer Absicht, sondern auch die Wahl der Motive, die Wiederholung und Weiterentwicklung derer und die verschiedenen Größen, sowie der changierende Duktus offenbaren Grund zur Annahme zweier Thesen:
Die Stärke des Bedürfnisses nach dem Versichern der Grundvoraussetzung schwankt. Am Anfang zeichnete ich, wie in der Methodik vorgesehen jeweils eine Absicherung pro Tag. Als mein Gemüt merkbar schwerer wurde und ich meinen Arbeitsplatz für drei Tage nach Hause verlegte, fertigte ich auf einmal drei Zeichnungen täglich an. Dafür blieben die Emotionsbilder aus. Es scheint, als würden die Absicherungen für meine rationale Gedankenwelt stehen, die Emotionsbilder für die irrationale. Aus Erfahrung wende ich gegen Niedergeschlagenheit oft rationales Denken und pragmatisches Handeln an. Gegen diese Niedergeschlagenheit sollten also, nicht wie sonst eine, sondern drei Belohnungen stattfinden.
Die Motive der Zeichnungen sind mit Bedeutung geladen. Der Pool ist das Sinnbild für Urlaub und Erholung, für ein „entspanntes sich Treiben lassen ohne Gegenströmung“, gleichzeitig symbolisiert er das totale Nichtstun. Denkt man an einen Swimmingpool, so assoziiert man diesen mit Urlaubstagen, an denen der Sinn darin besteht, von Liege zum Pool und vom Pool zurück zur Liege zu wandern. Des Weiteren ist der Pool in seiner strahlend blauen Farbe, den Fliesen, und verschiedenen Beckenformen ein ästhetisches Objekt. Symbolisch aufgeladen mit Freizeit, Wohlstand und Glamour, funktioniert er als Statussymbol in hauseigenen Gärten. Als fundamentales Objekt des „American Dreams“ hat sich David Hockney dem Pool über Jahre malerisch gewidmet. Vor allem aber ist der Swimmingpool ein Symbol der Ordnung und Kontrolle über das Unkontrollierbare: „A pool is water, made availabe and useful, and is, as such infinetly soothing to the western eye.“, schreibt Joan Didion in ihrem Essay „The White Album“ zu ihrer Beziehung mit Wasser. Im François Ozon’s „Swimming Pool“ (2003) wird der Pool zum Mordinstrument. Eine Autorin, die unter ihrer Kreativblockade leidet, findet Inspiration und die Idee für einen Roman durch einen Mord- ein im Pool ertränkter Gärtner. Hier ist das Wort „Ideenpool“ wortwörtlich umgesetzt. Der „Ideenpool“ beschreibt eine Ideensammlung, die z.Bsp. durch ein Brainstorming entstehen kann.
Der Pool symbolisiert also sowohl das sinnlose Treibenlassen, Ausharren und Nichtstun des Scheiterns, als auch das Bedürfnis nach Entspannung. Durch die Betitelung der Motive zu „Ideenpools“ habe ich mich über mich selbst und die Nichtexistenz einer Idee ironisch echauffiert.
Vom Pool gelangte ich durch die Zeichnung eines Poolwischmopps weiter zu neuen Motiven, die allesamt Putzutensilien darstellten. Von Mopp, über Besen, Schwammbesen, Moppaufsatz und -auswringer. Ästhetisch ansprechende Objekte, die für Sauberkeit und Ordnung stehen. Sauberkeit und Ordnung bedeutet irgendwie auch Sicherheit. Zwischenzeitlich konnte ich scheinbar von keinem der drei genügend haben.