Emotion

Diese bemalten Leinwände sind aus dem Antrieb entstanden, meine Gefühle ausdrücken, festhalten und vergleichbar dokumentieren zu wollen, ohne mich dabei als Künstlerin zu sehen. Sie sind täglich und in kurzer Zeit entstanden, ohne nennenswerte Vorkenntnisse zu Material und Technik. Daher entziehen sie sich der klassischen Bewertung von Kunst und Malerei und sind unbedingt im allgemeinen Zusammenhang des Konzepts zu betrachten.

Die klischeehafte Aufgabenformulierung: Der Gemütszustand und die Gefühle werden mit Farbe auf eine Leinwand, 40x40cm gebracht, lässt die Ästhetik der entstandenen Bilder schon vermuten: „Actionpainting“ oder „Hobbymalerei“ mögen sie gut beschreiben. Die Malereien sollen aber nicht mit gut oder schlecht, schön oder hässlich bewertet werden, sondern ihr Bezug untereinander, ihr Aufwand und die Atmosphären, die sie tragen oder vermitteln, wollen untersucht werden.

Auffällig ist, dass ein Bild oft Ähnlichkeit mit dem des vorigen Tages aufweist, wie ein Zoom in das Bild des Vortages funktioniert. Besonders anschaulich zeigen die Bilderpaare 5/7 und 22/23 diesen scheinbaren Bezug der Bilder untereinander. Mutmaßlich habe ich mich also mit dem Gefühl des ersten Bildes weiterhin beschäftigt und kam am darauffolgenden Tag so zu einem genaueren, detaillierteren Ausdruck.

Farbe ist das, was wir deutlich wahrnehmen, jedoch jeder anders interpretiert. Folgt man der Farbinterpretation, die in abendländischen Kulturkreisen in der Gegenwart angewandt wird, so passen für mich überraschenderweise einige den Farben zugewiesenen Bedeutungen recht gut: Weiß steht für Reinheit und Kälte, Schwarz für Trauer und Böses, Grau für Trübsinn, Unterordnung und Pessimismus, Blau für Unergründlichkeit und Ferne. Diese Farben treten in den Bildern gehäuft und wiederholt auf und ich kann in den sie psychologisierend deutenden Wörtern meine Gefühlslagen zwar wiederfinden oder eine gewisse Plausibilität entdecken, den Farben des Scheiterns bestimmte Gefühle zuzuordnen finde ich allerdings ähnlich wage wie den Wahrheitsgehalt eines Horoskops. Wer viele Gefühle hat, kann sich auch in vielen Gefühlen wiederfinden.

Betrachtet man die motivische Gestaltung der Leinwand, so wechselt diese von ruhigen großen Farbflächen zu naivem, sprunghaftem Durcheinander und von einschichtigen, klaren Motiven zu vielen, übereinander laufenden Farbschichten und Formen. Hin und wieder tauchen sich wiederholende Figuren auf, die wie länglich gezogene Kaulquappen über das Bild strömen oder in rundlichen Organismen mit einer Art Innenleben, das umhüllt scheint, eher ruhig auf der Leinwand verweilen. Bei Letzterem finde ich das Motiv der Umhüllung interessant. Das Scheitern fühlt sich doch gerade so unerträglich an, weil die Fähigkeit eigentlich vorhanden ist, jedoch verschwunden scheint, wie eingehüllt und unsichtbar gemacht. Das gerade diese motivhafte Umhüllung und Wegschließung auf Bildpaar 22/23 eher Ruhe, sogar eine gewisse Friedfertigkeit ausstrahlt, beschreibt in meinen Augen meine Annahme des „Nicht-Fähigseins“, meine angenommene Aufgabe.

Überblickend wirken die Bilder meistens aufgewühlt, mit überraschenden kurzen Ruhemomenten, weitestgehend unsicher und abwechselnd freundlich oder niedergeschlagen. An den Tagen 13 bis 16 malte ich kein Emotionsbild, was – betrachtet man die Listen dieser Tage – verständlich erscheint. Ich erinnere mich, dass sie von Zweifeln und dem Hinterfragen von Sinn und Ziel des ganzen Projektes geprägt waren, sodass ich Trost in erhöhter Absicherung und starker Reinlichkeit fand. Sterile, zu saubere Räume haben eine emotionslose Wirkung auf uns. Ähnlich steril war auch mein Inneres. Werden Emotionen unterdrückt, so wie es zum Beispiel bei Depressionen geschieht, ist der Denkprozess viel weniger reichhaltig und kreativ. Die Tage25, 26 und 27 erbrachten erneut keine Emotionsbilder. Diesmal war der Grund keine gefühlte Leere, sondern eine Art Überemotionalität, welche so stark fühlbar war, das sie zu einer Blockade aller Schritte führte. Eindrücklich emotionale Ereignisse oder Phasen können die Kreativität auch steigern. Als ich mich wieder motivieren konnte ins Atelier zu gehen, widmete ich mich den starken Eindrücken der überemotionalen Phase zusammen mit den daraus resultierenden Emotionen des aktuellen Tages und malte die letzten drei Tage entsprechend ausdauernder als zuvor jeweils zwei aufwändigere, intensiver gefühlte Bilder. Diese Erfahrung schien mich so zu interessieren und zu locken, dass die Absicherung, welche schon seit einer Woche ausblieb, weiterhin nicht von Nöten war und die Ablenkung bis auf wenige Punkte am 31. Tag sogar gänzlich verschwand.